Sonntag, 21. Dezember 2008

im Traum Stress mit Bullen gehabt. Worum es ging, weiß ich nicht mehr. Es waren eher solche wie die aus meinen Krimis, roh, kaum gesetzestreu, aber irgendwie doch sympathische Kerle, anders als die echten, die oft korrekt, gesetzestreu und wenig sympathisch sind. An einem Bahnhofskino in einer Kleinstadt Zigaretten gekauft. Davor stehen zwei drei junge Leute, die ebenfalls etwas kaufen, und zwar etwas zu kiffen. Als sie das rauchen wollen, werden sie von drei Bahnbediensteten verscheucht. Ich stehe indifferent vor dem Kioskfenster, die Zigaretten habe ich anscheinend eh schon Stunden früher gekauft. Plötzlich rufe ich einen der drei Jungs an, ich scheine sie zu kennen, die Nummer ist in meinem Handy gespeichert, ein Name wie Christian oder so. Glasklar kommt die Stimme des Angerufenen durchs Telefon, er schreit und krächzt mit einem Michael-Moore-haften Pathos, sie würden gerade abgeführt, obwohl sie nur eine Zigarette rauchen wollten, man müsse ihnen helfen, es sei eine schreiende Ungerechtigkeit. Aber er spricht gar nicht mit mir, sondern mit irgendeiner Bahn-Hotline, ich habe mich nur in ein bestehendes Gepräch eingeloggt. Das ist mir zuviel. Ich gehe am Verkaufsfenster vorbei in den Kiosk hinein, der innen eine Mischung aus Tankstellenshop und Wartelounge ist, wobei ein Teil des Raumes aus einer ungepflegten Sitzgruppe besteht, die gleichzeitig Büro der Bullen zu sein scheint, mit denen ich Stress habe, da fläzen sie sich in den mit Stoff beschlagenen, drehbaren Plastiksesseln wie in einem Kreuzberger Café. Der Tisch ist furchtbar unordentlich, aber ich habe ja schließlich einen Termin, stelle mich also zu ihnen. Bevor wir mit unserem Thema beginnen, möchte ich loswerden, daß die Sache mit den jungen Kiffern ja wohl eine Unverschämtheit ist, zeternd erzähle ich meine Geschichte, der Bulle mit den übereinandergeschlagenen Beinen vor mir ist S., den K. gestern Nacht als "Mitte-Gott" bezeichnete, er wirkt indifferent wie ich anfangs. Ob er mir versprechen könne, die "jungen Leute" in Ruhe zu lassen. Er antwortet nicht einmal. Meine Stimme versagte gegen Ende des Satzes ohnehin, so daß ich mich räuspere, Luft hole, zu einem anderen Diskurs in einem anderen Register aufbreche, ich stehe jetzt in voller, linksradikaler Solidarität mit den Verfolgten. Ich bräuche die Zusicherung, daß meine Freunde freigelassen werden, bevor wir mit dem Gespräch beginnen können. Wieder keine Antwort von S. Die könne er mir wohl nicht geben, frage ich halb herausfordernd, halb verschüchtert nach. Nein, sagt er. Gut, sage ich, und setze mich ihm gegenüber hin, nicht ohne einen Blick auf C., die unsichtbar im Raum stehend für diese Szene die Figur meines politischen Überichs spielt, sie wird später bezeugen sollen, daß die Weigerung der Bullen, die Genossen freizulassen, sich ganz klar auf meine Verhandlungsposition während der Gespräche ausgewirkt hat, daß ich ein Stück weniger bereit bin, ihnen entgegenzukommen, bei was auch immer wir zu verhandeln haben. Zünde mir eine Zigarette an. Es ist ein Softpack Ikibin. Jede Zigarette, die ich herausziehe, ist etwas lädiert und hat an der Spitze einen Aschenkegel, sie ist bereits angeraucht, aber nicht ausgedrückt. Ich stopfe die Zigaretten jeweils wieder in den Softpack und ziehe die nächste raus, ein ähnliches Bild. Da stehe ich auf und beuge mich zu S. herüber. Jetzt habe ich aber wirklich einen Grund für eine Beschwerde, die Sie zu Protokoll nehmen müssen. Ich habe hier an Ihrem Kiosk soeben Zigaretten gekauft, die schon angefault sind, schauen Sie nur. Ich will nur provozieren, weiß aber, daß er darauf wird eingehen müssen. Er interessiert sich sehr für meine Zigarettenpackung. Gemeinsam durchforsten wir sie. Es finden sich unter Anderem auch solche darin, bei denen unter dem Styroporfilter ein zigarettenförmiges Glasröhrchen angebracht ist, mit Stopfverschluß an der Zigarettenspitze. In den Glasröhrchen befindet sich weißes, kristallförmiges Pulver, wir schütteln sie sanft in der Hand, das wird doch wohl kein Kokain sein, rufe ich aus, S. freut sich wie Schneekönig. Sofort sitzen drei oder vier Bullen gemeinsam mit ihm und mir auf einem Bordstein, es ist warm draußen, wir untersuchen eifrig die mannigfaltigen Stängchen und Röhrchen in meinem Softpack, die Bullen reichen sie untereinander weiter, ein jeder hält sie gegen das Licht, schüttelt sie in der Hand. Ich finde eines, das fast voll ist, und in dem das Pulver etwas klumpiger und nicht so weiß aussieht. Ob ich es öffnen dürfe, frage ich, S. nickt. Der Stopfen ist ein vermoderter Weinkorken, in dem auf den Kopf gestellten Röhrchen befindet sich eine Welt wie die, die ein kleines Kind aus Dortmund in den beweglichen Sandgemälden vom Weihnachtsmarkt zu entdecken meinte, in denen zwischen zwei Glasscheiben Streifen verschiedenfarbigen Sandes so eingerahmt waren, daß sie beim Drehen und Wenden je neue Muster bildeten, Wüstenbilder, Gebirge, ferne Länder, ein prämodernes Kaiserpanorama in der postindustriellen Kleinstadt der Kindheit. Aber der Korken, er ist voller Pilz und Klippen, Vorsprüngen und Lehmbrocken, ein knorriges Männchen steht darauf. Er ist eine Eiswaffel in meiner Hand, von der es gleich heruntertropfen wird. Ein Brocken Lehm löst sich und klammert sich an meinen Finger, saugt leicht daran. Es sind Aliens, schreie ich, sie saugen sich fest und legen Eier unter die Haut, aber die Bullen wissen sofort, daß ich es nicht ernst meine, der Lehmklumpen fällt ab. Ich bin jetzt einer von ihnen, ganz absorbiert im Dienste der wissenschaftlichen Neugier, eines literarisch-kriminologischen volonté de savoir, der sich lustvoll der Entdeckung kindlicher Mikrowelten im Glasflacon hingibt (A. hatte gestern Nacht von Makropoulous' Thesen zur Soziologie des Kriminalromans geredet). Immer kleiner werde ich gegenüber der Oberfläche, die auf der Unterseite des Korkstopfens des zigarettengroßen Glasröhrchens entstanden ist, bis ich von dem knorrigen Männchen darauf überragt werde wie das Kind vom Weihnachtsbaume. Es scheint sich um pflanzliche Lebensformen zu handeln, gebe ich den Umstehenden zu Protokoll, keine tierischen (wobei ich primär darauf konzentriert bin, nicht in die Hand gebissen zu werden), doch die dickfaserigen, bonsaihaften Gebilde scheinen zu atmen, ich stehe zwischen und unter ihnen wie in einem tropischen Gewächshaus, und vor mir dieses knorrige Männchen, tatsächlich hat es eine leicht anthropomorphe Gestalt und besteht aus unendlich filigranen, geronnen Tröpfchen dunkelsatter Farbe, es wiegt sich leicht im Wind, und unmittelbar macht es mich melancholisch, ein Teil meiner kriminologischen Aufgabe scheint das Aufbauen von Empathie zum Objekt zu sein, ich beginne, es wahrzunehmen, vor ihm steht im Korkgrund verwurzelt ein klitzekleines, fühlerhaftes Gebilde, das mir ungefähr bis zur Hüfte geht und sich ebenfalls wiegt, die beiden scheinen Eins zu sein, vermutlich mit der gesamten, außerirdischen Welt auf der Korkenunterseite, ich höre ein Winseln von den Fühlern her, sie kommunizieren mit uns. Ob wir bei der Polizei bloß sensibel genug sein werden, die Botschaft mit den Sinnen zu empfangen und mit unseren Geräten den Code zu knacken? Über diese Frage wache ich auf.

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