Mittwoch, 31. Dezember 2008

Nehmt's mir nicht übel, aber heute, wo in Diyarbakir die erste offen lebende Tunte, Kız Şaban, und ihr Adoptivsohn, Ali Yavuz, umgebracht worden sind, werde ich jedem, der mir was von Gaza erzählen will, persönlich ins Gesicht spucken.
Und ich bin satisfaktionsfähig, mit oder ohne gebügeltes Hemd.

Dienstag, 30. Dezember 2008

Was Minu kann, kann ich auch. So.

Montag, 29. Dezember 2008

Sind Sie mit ihrem gebügelten weißen Hemd denn überhaupt satisfaktionsfähig?!?

Samstag, 27. Dezember 2008

the passion of lovers is for death saith she

noch mehr Leiden: Bachs Matthäuspassion in einer uralten Einspielung, die schon während der Ouvertüre vor lauter Staub und Kratzern in den Chorpassagen in ein schrilles Sägen übergeht, das eher nach Ekkehard Ehlers klingt als nach Otto Klemperer; ein Knistern, das sich anhört wie reingesampelt; ein Verschwimmen der ausdifferenzierten Partiturstimmen in white noise, einen inputfreien Apotheosekreischer, unio mystica als Negation von Hochtreue (hi.fi), der Pilatus wird wohl dem bei Bulgakow nachempfunden sein, der Erzähler steht hinter einer Wand aus Hagelkörnern, die aus den Membranen auf meine Brauen prasseln, der Fischer-Dieskau ist nur noch als popkulturelles Zitat in einem avantgardistischen Werk da.
Wie sehr das Altern der Ware eine Patinierung einherbringt, deren Resultate der bewußten zeitgenössischen Auseinandersetzung mit elektronischer Klangbearbeitung gleichzukommen scheinen, gar sie überholen ohne einzuholen, welches Werk der Neuen Musik hätte den Themenkomplex des langen Wochenendes nach Weihnachten so präzise ausdrücken können, jetzt wo die Plattenseite vorbei ist, springt die Nadel durch eine Endlosschleife, aus der ich den Geist eines defekten Keilriemens in einer verregneten Nacht auf der Autobahn herauszuhören meine, bald geht alles zu Ende.

Dann der Christus von Liszt Ferenc : Staatlich ungarisches Vinyl in einer eingedellten Box, von deren Deckel mich ein körnig vergrößerter Mann antrotzt, dessen Agonie nur eine sexuelle sein kann; man sieht auf dem Ausschnitt nicht, wie seine Hände mit Tauen gebunden sind und er von einem lustvoll verzückten Orientalen gequält wird, gerade mal sein makelloses Decolleté und die freie Schulter mitsamt daraufwallendem Haar sind auszumachen. Der Aufnahme von 1971 - der ersten des Werkes überhaupt, unter Leitung von Forrai - haftet eine Modernität an, die viel radikaler anmutet als die der sozialistischen Auseinandersetzungen mit religiöser Thematik im Westen, seit langem wieder eine Aufnahme, der man einfach nur schweigend zuhören möchte (statt darüber im Blog zu schreiben), ich hatte sie mir extra für die Feiertage aufgespart.


Freitag, 26. Dezember 2008

apophatische theologie

ex negativo zur Erkenntnis von Schönheit gelangen, wie es die spätantiken syrischen Theologen lehrten: Wenn unter der Dusche das heiße Wasser verrinnt, und man plötzlich nackt im kalten Raum steht, aber nicht, weil mal wieder die Therme kaputt ist und man über die Feiertage weder Hausmeister noch sonst wen erreichen können wird, sondern weil jemand da ist, der am anderen Ende des Haushaltes einen Wasserhahn öffnet. Siehe, du bist nicht allein; alles sehr weihnachtlich, man ist Kälte und Wassermangel ausgesetzt, weil man geliebt wird, quasi BDSM als epistemologische Pforte, da kann B.XVI mit seiner Küchentheologie aber einpacken.

Dienstag, 23. Dezember 2008

Ich torkle durchs Abteil. Die Stiefel haben viel zu hohe Absätze, um damit elegant durch einen ICE zu stolzieren, der sich grade durch die langen Tunnel Hessens windet und ächzt. Von meinen flachen Stiefeln ist mir heute morgen der Absatz abgefallen. Panik. Ich brauche die für Weihnachten und bin grade aufm Weg zum Bahnhof! Die *Russen* (Achtung, Leitmotiv) im Schuhmacherladen in der Passage drüben hab ich mit viel Klimperklimper dazu gekriegt, mir die Stiefel sofort zu reparieren. Ich hab ihnen dafür eine Packung Merci geschenkt. Sie haben sich so sehr gefreut, dass ich traurig wurde. Kriegen sie denn sonst nie Merci? Zum Stiefelwechseln hatte ich nach der Reparatur keine Zeit. Also weiter in den High Heels.
Im Zug fangen kurz hinter Mannheim immer alle an, krassestes Schwäbisch zu sprechen. Warum alle? Dürfen Nichtschwaben oder Rei`gschmeckte in Baden-Württemberg gar nicht Zug fahren? Selbst die gutaussehenden Herren in ihren Nadelstreifenanzügen wirken plötzlich bieder.
Irgendwie werd ich glaub krank. Der Hals tut weh, die Nase kribbelt. Post-Party-Syndrom oder Erkältung? Krank zuhause sein war früher immer schön: man kriegte zu essen, was man wollte, lauter Zeitschriften, Fernsehen. Essen, was ich will, gibts immer noch. Zumindest offiziell. Aber ich muss es meist selbst kochen. Zeitschriften gibt es nach wie vor en masse. Ich fange an, mich durch die letzten 12 Ausgaben der BUNTE zu lesen, äh, gucken. Auch der Boris ist wieder Single. Traurig. Trotz seines Namens ist er kein Russe (des Leitmotivs wegen musste das erwähnt werden). Und wieder eine Sandy mehr aufm Heiratsmarkt. Nur Heidi Klum gebärt fröhlich vor sich hin.
Die Plastiktanne steht. Ich hab mich immer noch nicht dran gewöhnt. Sie sieht perfekt aus, nur die Spitze bleibt krumm, wir kriegen das einfach nicht gerade hingebogen. Hm, fast so wie die Natur: unberechenbar. Nur riecht der Baum gar nicht. Nach nix. Nadeln tut er dennoch. Seltsam. Mit Strohsternen und Goldkugeln sieht er ganz schön aus. Aber Plastik bleibt Plastik. Ich bin da konservativ.
Wieviel Ragout Fin braucht man für die Pasteten? Ein Drama beginnt. Die zwei Dosen reichen doch nie und nimmer! Aber mehr gibt es nicht von der teuren, der *guten* Firma. Mischen mit der Billigware? Was wird die Oma sagen, wenn sie hört, dass da Geflügel drin ist? Die Oma isst doch kein Geflügel! Egal, sie merkt auch nie, wenn ich Knoblauch ins Essen tue. Obwohl das doch nur Russen essen, sagt die Oma.
Der Vater ist kurz irritiert, weil die Töchter sein Klingeln des Morgens nicht sofort erhören, weil sie sich fönen. Und er ist doch so hungrig, normalerweise frühstückt er ja viiiiel früher. Ja, die Kinder sind wieder daheim. Mit ihnen das ganze Chaos einer Großfamilie. Alle versuchen, es zu genießen. Es wird über Eierkochzeiten diskutiert und kurz über Steuererklärungen. Kinder, ist das Leben schön.
Die Oma hat nachmittags Besuch von einer alten Bekannten. Diese redet in schwindelerregend kurzer Zeit über mich als Kind (*d`K. hat net mit annam jedm gschprocha, nei nei,, nur mit adenen, die sie wirklich gmocht het, die konnt a ganz schön Schture sei - ganz andersch wia d`Kloine, die hat oifach immer gschtrahlt* - ich bin K. ...) geredet, dann über die Bombennächte 1945 (*ond plötzlich lag dia ganz Familie moiner Freundin dooood da, wissetse, alle doood*) und über Erbschleicher in der Familie (*hah, moi Kusiiiiin isch des - aber beim Geld isch Schluss mit luschtig, gell?*), und jedem Satz schob sie ein grelles Lachen nach. Ich flüchte in den Supermarkt, um die Ragout Fin-Frage zu klären.
Entschleunigung. Auf einem riesigen PC-Ungetüm versuche ich, mich wie einst zu Grundstudiumszeiten mit dem Smartsurfer ins Internet einzuwählen. Erst die Oma anrufen und checken, ob mit ihr alles okay ist. Denn beim Surfen wird die Telefonleitung tot sein. Das Modem jault. Modem. Auch so ein Wort, das aus unserem Sprachgebrauch verschwinden wird. Wie einst Bollerwagen, Schlauchmilch, Zehnpfennigstück und Kassettenrecorder. Während ich mich die folgende halbe Stunde lang auf GMX einlogge, koche ich mir einen Tee, nähe eine Naht an meiner Hose und studiere das Kinoprogramm für Heiligabend. Beim Surfen in Berlin schaffe ich es noch nicht mal, nebenher die Waschmaschine auszuräumen.
Naomi Campbell ist jetzt mit einem reichen Russen zusammen, sagt die BUNTE. Seinen Namen hab ich schon wieder vergessen. Er hieß weder Putin noch Jelzin. Aber er ist Russe.

Sonntag, 21. Dezember 2008

im Traum Stress mit Bullen gehabt. Worum es ging, weiß ich nicht mehr. Es waren eher solche wie die aus meinen Krimis, roh, kaum gesetzestreu, aber irgendwie doch sympathische Kerle, anders als die echten, die oft korrekt, gesetzestreu und wenig sympathisch sind. An einem Bahnhofskino in einer Kleinstadt Zigaretten gekauft. Davor stehen zwei drei junge Leute, die ebenfalls etwas kaufen, und zwar etwas zu kiffen. Als sie das rauchen wollen, werden sie von drei Bahnbediensteten verscheucht. Ich stehe indifferent vor dem Kioskfenster, die Zigaretten habe ich anscheinend eh schon Stunden früher gekauft. Plötzlich rufe ich einen der drei Jungs an, ich scheine sie zu kennen, die Nummer ist in meinem Handy gespeichert, ein Name wie Christian oder so. Glasklar kommt die Stimme des Angerufenen durchs Telefon, er schreit und krächzt mit einem Michael-Moore-haften Pathos, sie würden gerade abgeführt, obwohl sie nur eine Zigarette rauchen wollten, man müsse ihnen helfen, es sei eine schreiende Ungerechtigkeit. Aber er spricht gar nicht mit mir, sondern mit irgendeiner Bahn-Hotline, ich habe mich nur in ein bestehendes Gepräch eingeloggt. Das ist mir zuviel. Ich gehe am Verkaufsfenster vorbei in den Kiosk hinein, der innen eine Mischung aus Tankstellenshop und Wartelounge ist, wobei ein Teil des Raumes aus einer ungepflegten Sitzgruppe besteht, die gleichzeitig Büro der Bullen zu sein scheint, mit denen ich Stress habe, da fläzen sie sich in den mit Stoff beschlagenen, drehbaren Plastiksesseln wie in einem Kreuzberger Café. Der Tisch ist furchtbar unordentlich, aber ich habe ja schließlich einen Termin, stelle mich also zu ihnen. Bevor wir mit unserem Thema beginnen, möchte ich loswerden, daß die Sache mit den jungen Kiffern ja wohl eine Unverschämtheit ist, zeternd erzähle ich meine Geschichte, der Bulle mit den übereinandergeschlagenen Beinen vor mir ist S., den K. gestern Nacht als "Mitte-Gott" bezeichnete, er wirkt indifferent wie ich anfangs. Ob er mir versprechen könne, die "jungen Leute" in Ruhe zu lassen. Er antwortet nicht einmal. Meine Stimme versagte gegen Ende des Satzes ohnehin, so daß ich mich räuspere, Luft hole, zu einem anderen Diskurs in einem anderen Register aufbreche, ich stehe jetzt in voller, linksradikaler Solidarität mit den Verfolgten. Ich bräuche die Zusicherung, daß meine Freunde freigelassen werden, bevor wir mit dem Gespräch beginnen können. Wieder keine Antwort von S. Die könne er mir wohl nicht geben, frage ich halb herausfordernd, halb verschüchtert nach. Nein, sagt er. Gut, sage ich, und setze mich ihm gegenüber hin, nicht ohne einen Blick auf C., die unsichtbar im Raum stehend für diese Szene die Figur meines politischen Überichs spielt, sie wird später bezeugen sollen, daß die Weigerung der Bullen, die Genossen freizulassen, sich ganz klar auf meine Verhandlungsposition während der Gespräche ausgewirkt hat, daß ich ein Stück weniger bereit bin, ihnen entgegenzukommen, bei was auch immer wir zu verhandeln haben. Zünde mir eine Zigarette an. Es ist ein Softpack Ikibin. Jede Zigarette, die ich herausziehe, ist etwas lädiert und hat an der Spitze einen Aschenkegel, sie ist bereits angeraucht, aber nicht ausgedrückt. Ich stopfe die Zigaretten jeweils wieder in den Softpack und ziehe die nächste raus, ein ähnliches Bild. Da stehe ich auf und beuge mich zu S. herüber. Jetzt habe ich aber wirklich einen Grund für eine Beschwerde, die Sie zu Protokoll nehmen müssen. Ich habe hier an Ihrem Kiosk soeben Zigaretten gekauft, die schon angefault sind, schauen Sie nur. Ich will nur provozieren, weiß aber, daß er darauf wird eingehen müssen. Er interessiert sich sehr für meine Zigarettenpackung. Gemeinsam durchforsten wir sie. Es finden sich unter Anderem auch solche darin, bei denen unter dem Styroporfilter ein zigarettenförmiges Glasröhrchen angebracht ist, mit Stopfverschluß an der Zigarettenspitze. In den Glasröhrchen befindet sich weißes, kristallförmiges Pulver, wir schütteln sie sanft in der Hand, das wird doch wohl kein Kokain sein, rufe ich aus, S. freut sich wie Schneekönig. Sofort sitzen drei oder vier Bullen gemeinsam mit ihm und mir auf einem Bordstein, es ist warm draußen, wir untersuchen eifrig die mannigfaltigen Stängchen und Röhrchen in meinem Softpack, die Bullen reichen sie untereinander weiter, ein jeder hält sie gegen das Licht, schüttelt sie in der Hand. Ich finde eines, das fast voll ist, und in dem das Pulver etwas klumpiger und nicht so weiß aussieht. Ob ich es öffnen dürfe, frage ich, S. nickt. Der Stopfen ist ein vermoderter Weinkorken, in dem auf den Kopf gestellten Röhrchen befindet sich eine Welt wie die, die ein kleines Kind aus Dortmund in den beweglichen Sandgemälden vom Weihnachtsmarkt zu entdecken meinte, in denen zwischen zwei Glasscheiben Streifen verschiedenfarbigen Sandes so eingerahmt waren, daß sie beim Drehen und Wenden je neue Muster bildeten, Wüstenbilder, Gebirge, ferne Länder, ein prämodernes Kaiserpanorama in der postindustriellen Kleinstadt der Kindheit. Aber der Korken, er ist voller Pilz und Klippen, Vorsprüngen und Lehmbrocken, ein knorriges Männchen steht darauf. Er ist eine Eiswaffel in meiner Hand, von der es gleich heruntertropfen wird. Ein Brocken Lehm löst sich und klammert sich an meinen Finger, saugt leicht daran. Es sind Aliens, schreie ich, sie saugen sich fest und legen Eier unter die Haut, aber die Bullen wissen sofort, daß ich es nicht ernst meine, der Lehmklumpen fällt ab. Ich bin jetzt einer von ihnen, ganz absorbiert im Dienste der wissenschaftlichen Neugier, eines literarisch-kriminologischen volonté de savoir, der sich lustvoll der Entdeckung kindlicher Mikrowelten im Glasflacon hingibt (A. hatte gestern Nacht von Makropoulous' Thesen zur Soziologie des Kriminalromans geredet). Immer kleiner werde ich gegenüber der Oberfläche, die auf der Unterseite des Korkstopfens des zigarettengroßen Glasröhrchens entstanden ist, bis ich von dem knorrigen Männchen darauf überragt werde wie das Kind vom Weihnachtsbaume. Es scheint sich um pflanzliche Lebensformen zu handeln, gebe ich den Umstehenden zu Protokoll, keine tierischen (wobei ich primär darauf konzentriert bin, nicht in die Hand gebissen zu werden), doch die dickfaserigen, bonsaihaften Gebilde scheinen zu atmen, ich stehe zwischen und unter ihnen wie in einem tropischen Gewächshaus, und vor mir dieses knorrige Männchen, tatsächlich hat es eine leicht anthropomorphe Gestalt und besteht aus unendlich filigranen, geronnen Tröpfchen dunkelsatter Farbe, es wiegt sich leicht im Wind, und unmittelbar macht es mich melancholisch, ein Teil meiner kriminologischen Aufgabe scheint das Aufbauen von Empathie zum Objekt zu sein, ich beginne, es wahrzunehmen, vor ihm steht im Korkgrund verwurzelt ein klitzekleines, fühlerhaftes Gebilde, das mir ungefähr bis zur Hüfte geht und sich ebenfalls wiegt, die beiden scheinen Eins zu sein, vermutlich mit der gesamten, außerirdischen Welt auf der Korkenunterseite, ich höre ein Winseln von den Fühlern her, sie kommunizieren mit uns. Ob wir bei der Polizei bloß sensibel genug sein werden, die Botschaft mit den Sinnen zu empfangen und mit unseren Geräten den Code zu knacken? Über diese Frage wache ich auf.

während ich dies zu posten versuche, kommt der Copy-and-Paste-Text unterhalb des Eingabefensters zum Kleben, mit jedem Befehlstaste-V ein Mal mehr, der Bildschirm flackert rasend schnell über den wachsenden Fließtext, bis irgendwo das Ende der Seite erreicht ist, und veröffentlicht wird davon gar nichts. 

Freitag, 19. Dezember 2008

man trinkt wodka cranberry in mitte
alle trinken das
wirklich alle
individualität ist immer eine frage der definition
ich dachte erst, es sei campari orange
und warum schwimmen gurkenscheiben in fast leeren gläsern?
immer noch bang-ponys, in blond und schwarz                      
oder wieder?                                                                         
sogar die lebkuchen haben ein markenzeichen
'gebrandet' heißt das
mein mitte-jargon wird immer besser
aber ich muss noch an meinen umgangsformen arbeiten
"du darfst dich NIE entschuldigen!"
"okay, entschuldigung, wusste ich nicht."
mist, schon wieder falsch                                                                   WODKA
an der garderobe viele schwarze jacken
kreative menschen tragen gerne schwarz                                                   CRANBERRY
immer noch und immer wieder
ich auch
zumindest hier aufgehen in der masse
ist das gut oder schlecht?
mein mantel ist von donna karan
bestimmt muss man mit h&m-schildchen wieder gehen
obwohl
underground-schick ist ja das markenzeichen des 'jungen kreativen berlin'
der wodka cranberry ist etwas zu süß
aber schön rot
mit orangeschale drin
weihnachtsstimmung kommt auf
morgen sitzen alle hier im flieger nach stuttgart
im bahnhof friedrichstraße hat um 1 uhr nachts alles geschlossen
sogar burger king
berlin ist wieder provinz
oder immer noch
ein paar bang-ponys drängen sich am currywurststand draußen
die post-vegetarische szene
niemand will ins bett
denn alle hier haben ein leben
nur wenn sie jetzt nach hause gehen, glaubt ihnen das doch keiner
also weiterziehen
das cookies hat noch auf
und die hafenbar                                                 
es ist kalt
alle sehen aus wie müde, hungrige kinder
so kreativ
so trotzig
so leer
plastik-blicke
bloß weg
heim
durchs brandenburger tor  
            rübermachen
in das andere berlin
an der kurfürstenstraße die damen aus bulgarien
hotpants
etwas zu dunkle feinstrumpfhosen 
alle haben weiße Lederstiefel an
damit die freier sie im dunkeln nicht übersehen?
an der bushaltestelle rauchen ein paar ghettokids billige zigaretten
bierdosen von aldi
der dönerladenbesitzer putzt seinen tresen
mehr plastik
und irgendwie doch weniger
weniger leben
und doch irgendwie mehr




"Wenn notorische Eigenbrötler ihrer Welt der sexuellen Frustration, der peinlichen Besäufnisse, der Einsamkeit und jeglicher Form der Lotterwirtschaft derart überdrüssig sind, dass sie sogar ins Auge fassen, mit einer Frau zusammenzuleben, dann lügen sie sich damit in die eigene Tasche, und die Details dazu wird man in der Regel kaum für wert befinden, dass sie erzählt werden: Darüber bin ich mir schon im Klaren. [...] Ich bin nämlich der festen Überzeugung, dass in den zwischenmenschlichen Beziehungen und in jedem Leben, das die Geburtswehen einer literarischen Verarbeitung aushält, die Lüge durchaus ihre Berechtigung hat."

(Mario Levi: Nicht in eine Stadt fahren können. Aus dem Türkischen von Gerhard Meier)

Dies, ähemm, nur als edit, weil ich ja in einem früheren Post behauptet hatte, es gebe den Text noch nicht in deutscher Übersetzung. Gibt es wohl, und sie ist gelungen und zu finden in der Anthologie "Liebe, Lügen und Gespenster" (Unionsverlag 2006)

Mittwoch, 17. Dezember 2008

Folgendes ist nicht etwa aus einer Reklame für das Restaurant, sondern aus einer Einladung der "Assoziierten Dolmetscher und Übersetzer Norddeutschland" zu einem gemeinsamen Neujahrsessen. Mitsamt Fettschreibung.

Fleischlastig und üppig gefüllte Teller, danach reichlich
Ouzo und am nächsten Tag kaum zu verbergende Knoblauchschwaden,
die auch andere den Restaurantbesuch
am Vorabend erahnen lassen – das gehört hierzulande
wohl zu den gängigen Vorstellungen von griechischer
Küche. Nach dem Besuch im Restaurant Dionysos mit
seiner kretischen Küche werden Sie diese Klischees
bereitwillig korrigieren und sich neue Stichworte merken
wie aromatisch, sonnig, rustikal, fein, vielfältig.


Krasser als das Bild der griechischen Küche finde ich das vom Gehirn norddeutscher Übersetzer, das den Text durchspukt. Es gibt nichts, was sich in Werbesprache nicht fassen ließe, vermutlich bis hin zum Beziehungsstreitnarrativ.

Montag, 15. Dezember 2008

cultural parenting (2)


Freitag, 12. Dezember 2008

cultural parenting

Aus meinem Spamordner:

an diesem Samstag um 16 Uhr gibt es eine Möglichkeit,
eine schöne deutsche Weihnachtstradition zu erleben.
Es werden unter der Anweisung von deutschen Studenten
Plätzchen gebacken. Es gibt auch Glühwein!
Im Anschluss können wir gleich zusammen zur bereits
angekündigten Nikolausparty gehen (es ist nicht weit
weg von mir).

Besonderes daran ist, dass RBB (TV für Berlin und
Brandenburg) bei uns vorbeikommt, den Backprozess
filmt und ein paar kurze Fragen an uns stellt.


(Titelvorschlag für das Programm: "Schwarze Haut, Weiße Plätzchen", oder -- ganz jenseits der Mainstream-Medien, gleich für eine ethnographische Magisterarbeit: "Re-baking the Other: Gendered labour and the appropriation of ethnic lore in post-Germany")





Mittwoch, 10. Dezember 2008

es hilft alles nichts

im Tiefkühlbereich von Karstadts Feinkostabteilung vor einer Auswahl gefrorener Festtagstorten von Coppenrath und Wiese gestanden, lange stehen geblieben und fast losgeheult. Beinah universeller Weltschmerz bei der Erinnerung an Festtage mit Torten, gefroren und geschmolzen, geschnitten mit unter dem Wasserhahn angewärmtem Brotmesser, hilflose Anläufe, sich miteinander zu freuen, die ganze Tragik einer gescheiterten Beziehung - die ein Familienfest immer schon ist - in den Ritzen der Gesten und Kaufverhalten, die wie die Rillen des billigen Brotmessers meiner Mutter inmitten des Teiges erstarren, er muß noch antauen, sagt sie, da hilft alles nichts.
Mein Vater war es, der jeden Samstagmittag auf den letzten Drücker in die City unserer kleinen Industriestadt raste, um dort in der Feinkostabteilung des Karstadt Essensvorräte fürs Wochenende, für die gesamte Woche zu kaufen, ich mußte binnen weniger Minuten eine komplette Einkaufsliste von Zutaten erstellen, die ich aus einem von fünf Kochbüchern herauszuschreiben hatte, aus denen ich mir Gerichte auswählen durfte.
Wir waren immer die letzten Kunden an den Kassen, die Ausgangstüren waren meist schon verschlossen, ich hatte den riesigen Einkaufswagen durch die Gänge zu steuern, während mein Vater mit der Einkaufsliste in der Hand durch die Regale hechelte und die überteuerten Artikel in den Wagen warf, im Eilschritt zum nächsten Regalbrett irrend, noch bevor die Ware den Boden des Gittergerüstes erreichte, das ich ihm nachzuschieben hatte; eine umgekehrte Aufgabenverteilung hatte sich als Unvorteilhaft erwiesen, da mußten wir beiden einmal ein Gericht ohne eine entscheidende Zutat essen, da das Personal uns herausgeworfen hatte.

Von dem Geld, das dabei draufging, hätte er mir später mein Studium finanzieren können. Hat er aber nicht, insbesondere seit ich linksextrem wurde.

Heute mit Kreditkarte Serranoschinken und horrend überteuerte Oliven gekauft zum Wein, ich wollte so gern Geld ausgeben, das ich - ebenso wie mein Vater damals - zwar habe, aber nicht für sowas ausgeben sollte. Das Bedürfnis erwuchs, nachdem ich mich mit einer Neuköllner Anwältin über Probleme Asylsuchender unterhalten hatte.

opfer


- "Allah-u Akbar..."
- "Ja ja, wer weiß, wie vielen Schafen du schon das Gleiche erzählt hast?"

Dienstag, 9. Dezember 2008

Schöne Frauen oder Die Angst der Prinzessin vor der Königin

Warum fühlen sich manche Frauen von als schön geltenden Frauen bedroht? Warum regt man sich als Frau darüber auf, wenn ein Film voller Hollywood-Schönheiten ist? Warum ist man empört, wenn Männer oder andere Frauen die wundervollen Haare oder die tolle Figur einer berühmten Frau oder sogar einer gemeinsamen Freundin rühmen? Warum müssen manche Frauen stets betonen, dass sie überhaupt nicht aussehen möchten wie Miss X mit ihren überlangen Beinen, dass sie den Bauch von Lady Y nun wirklich zu muskulös und flach finden und generell nicht verstehen können, was denn nun alle alle an Madame Z finden, die Lippen seien doch viel zu aufgeplustert.

Das Interessante ist, dass jene Frauen ihre Haltung gerne als feministischen Akt verteidigen, als Widerstand gegen ein rigoroses, einengendes und uniformes Schönheitsideal. Dies möchte ich jedoch bestreiten. Für mich zeugt dieses Verhalten im Gegenteil von einer weiblichen Entsolidarisierung. Schöne Frauen als Bedrohung zu empfinden ist zutiefst patriarchal. Der patriarchale Reflex ist es, der einer schönen Frau sofort unterstellt, dass sie dumm sein müsste. Ist sie jedoch nachweislich intelligent, ist sie eine noch viel größere Bedrohung. Eine als nicht schön geltende Frau wiederum ist, Intelligenz hin oder her, grundsätzlich Spott ausgesetzt. Kurz und gut: weder eine zu schöne noch eine nicht schön genuge Frau kann nach patriarchaler Logik Karriere machen.

Wenn nun ein Hollywood-Sternchen mit seiner Schönheit berühmt wird - ist es wichtig, ob sie nun intelligent ist oder nicht (ganz abgesehen von der Messbarkeit solch einer fragwürdigen Kategorie...)? Fühle ich mich selbst wirklich besser, wenn ich die Figur einer Freundin oder Passantin negativ kommentiere? Mich erinnert das so sehr an die grausamen Zeiten, als wir, damals noch eher Mädchen denn Frauen, über diese oder jene ablästerten, genau wissend, was passiert, wenn wir selbst den Raum verlassen. Als tuschelnde Mädchengruppen im Schwimmbad auf die Blondine zeigten, die die meisten Jungs begehrten und es IHR übelnahmen und deshalb ihre 'Gazellenbeine' zu 'Stelzenbeinen' runterlästerten.

Wieviel Schwäche und Unsicherheit liegt in so einem Verhalten! Es zeigt doch nur, wie sehr Frauen die patriarchale Logik verinnerlicht haben, wie sehr sie sich dessen 'Teile-und-herrsche'-Prinzip unterwerfen und sich untereinander entsolidarisieren. Wie sehr sie selbst die Schönheitsmaßstäbe anlegen, die sie vorgeblich ablehnen - sonst müsste man sich ja nicht von den Frauen bedroht fühlen, die allgemein (!) als schön im Sinne des herrschenden Schönheitsideals gelten. Ich gebe zu, ich freue mich, wenn ich in einem Film solch schöne Frauen sehe. Ich kann auch Frauen sehr erotisch finden (mein Favorite ist grade Scarlett Johannson), und ebenso wie bei einem Mann kann das unabhängig davon sein, ob die Frau nun 'schöner' als ich in irgendeiner imaginierten Schönheitshierarchie ist (auf normal: "in einer anderen Liga spielt"). Auf der anderen Seite gibt es Frauen, die ich zwar als Frau nicht begehre, wo ich aber denke, dass ich so selbst gerne aussehen würde, einfach als Frauentyp (gerade: Hatice Aslan aus dem Film 'Drei Affen'). Ohne mich nun jeden Tag darüber zu grämen, dass ich das nicht tue. Mehr als Stil-Inspiration.

Wenn eine Freundin oder eine Passantin längere Beine oder einen flacheren Bauch hat, finde ich das wiederum meistens einfach schön - that's it. Wenn eine Fee mit ihren berühmten drei Wünschen kommen würde, hätte ich auch gerne diese Beine. Ohne die Fee geht es mir aber auch gut. Ich hab ja was anderes Schönes an mir, halt nicht diese Beine. Bis die Fee kommt, schaue ich auf die Beine der schönen Frau, einfach nur, weil ich sie schön finde.

Sonntag, 7. Dezember 2008

erst wenn man in einem augenscheinlich echten Pelzmantel auf eine über fünf Stockwerke angelegte Party in einem Wohnhaus in Neukölln gegangen ist, deren Hauptattraktion in Clustern von über die Treppenstufen verteilten Studenten bestand, und die überhaupt nicht schwul war, wie mir irreführend angekündigt gewesen ward, versteht man, was Sozialneid wirklich ist. Er lebt in den ausgestreckten Händen blonder Mädchen, die sanft über das Tierhaar streichen und fragen: Is der echt? Einige von ihnen werden wohl gegen das Tragen von Pelz gewesen sein, alle aber hatten den gleichen Tonfall, und die gleiche Berührung. Sanft, geschmeidig, als versuchten sie selbst gerade, echt zu sein.
Intellektuelle essen lieber Zartbitterschokolade, am besten mit Orangenschaleraspeln oder Himalajasalz oder Rosenblüten. Ich habe keine Ahnung, warum das so ist, vermutlich weil die Verpackungen schon intellektueller aussehen, viel Schwarz und Gold, eben tiefgründig. Und weil die wenigsten Prolls wissen, wonach um Gottes Willen Himalaja schmeckt. Ein Grund mehr für die Intellektuellen, sich die Salzschokolade zu kaufen. Schnöde Abgrenzung (boundaries!) vom Volke und dessen lila Einkäufen. An dieser Stelle jedoch ein Plädoyer für 'Dumm fickt gut.': Es lebe die Vollmilchschokolade!!!

Samstag, 6. Dezember 2008

susam sokağında iki maymun

sollte man Nuri Bilge Ceylan als Regisseur für neue Folgen der Sesamstraße gewinnen, würde er Ernie und Bert, die auf Türkisch Edi ile Büdü heißen, in ihrem seltsam asexuellen Ehebett platzieren, Edi kann mal wieder nicht einschlafen. Wir sehen ihn minutenlang unter seiner Bettdecke wühlen. Ein Close-Up auf Büdü, dessen Lidschatten verlaufen, aber auch im dunklen Zimmer noch unheimlich schwarz wäre, würde seine angespannten Gesichtszüge und blinzelnden Augen offenbaren. Auch er ist in Wirklichkeit weit davon entfernt, zu schlafen. Er kauert mehr in seiner Ecke des Ehebettes, als daß er läge. Der Abstand zwischen den beiden Körpern scheint unendlich. Edi richtet sich demonstrativ auf, die Bettgarnitur rauscht und raschelt, ostentativ sucht er seine Zigarettenpackung auf dem Nachttisch, findet sie, zieht eine Zigarette heraus, sucht das Feuerzeug, verursacht bei jeder seiner Bewegungen Lärm, auf den Büdü ostentativ gereizte Reaktionen zeigt. Schlußendlich zündet Edi seine Zigarette an, der Ton ist überlaut in den Vordergrund gemischt, und es wird sehr lange dauern, bis er den ersten Zug genommen und wieder ausgestoßen hat. Aber die Kamera bleibt auf seinem Gesicht, das in die Ferne starrt, über jeden einzelnen Zug hinweg, seine Art zu rauchen ist alles andere als hektisch, selbstverloren. Und die meisten Zigaretten in der Türkei haben KingSize, mindestens 100mm. Irgendwann schlägt Büdü seine Decke zurück, ein ruhiger Schnitt auf ihn zeigt seine gebeugte, angespannte Haltung. Die ganze Zeit über bleibt der überlaute Ton des Rauchenden über das Bild gelegt. Büdü verläßt das Bett. Wir gehen wieder auf den rauchenden Edi, eine leicht veränderte Perspektive, auch sein Gesichtsausdruck hat sich nuancenhaft verändert, die An- und Abwesenheit seines Lebenspartners bewirkt in seiner Gefühlslage Schwankungen, er ist allein ein Anderer.
Wir hören Büdü in der Küche rumoren, er gießt sich ein Glas Wasser ein. Vom Ende des Korridors, der an die Schlafzimmertür angrenzt, sehen wir in einer Totale mit geringer Schärfentiefe Schatten, und hinten ein Licht, die Küche. Nur ein winziger Ausschnitt der Qadrage ist gefüllt, der Rest schwarz: Die Wohnung. Hinter der halbangelehnten Milchglastür der Küche sehen wir Büdüs behaarten Arm aus seinem Feinripphemd herausquellen, er schließt eine Kühlschranktür, Wasser schwappt ihm auf sein Hemd, er trinkt.
Er kommt lange nicht zurück, dies sehen wir daran, daß Edi seine Zigarette ausdrückt und mindestens fünf Minuten regungslos vor der unbewegten Kamera sitzenbleibt.
Dann igelt er sich in seiner Bettdecke ein, zieht sie über den Kopf, bleibt zusammengerollt in dem Zimmer liegen, zu dessen Tür nach einiger Zeit der unsicher schreitende Schatten Büdüs hereinkommt. Er blickt lange auf die Wurst herab, unter der sich Edis Körperformen verbergen. Dann legt er sich wieder ins Bett, strikt auf seine Seite, ganz an den Rand der Matratze, an deren anderem Extrem die eingerollte Wurst sich befindet. Er liegt wach, aber regungslos, blinzelt, ist nach wie vor nicht abgeschminkt.
In einer Totale des völlig finsteren Zimmers ist nicht ein Hauch von Bewegung auszumachen. Nach einer Weile hören wir die Geräusche eines Istanbuler Vorortzuges, der auf einer Trasse vor dem Haus vorbeifährt.
Es ist ein wenig heller geworden, als Edi unter seiner Decke herumwibbelt, rauscht und raschelt, schließlich seinen Kopf und dann den Oberkörper herausstreckt. Vorsichtig beobachtet er Büdü, der sich starr und angespannt schlafend stellt, ein Schmerz huscht über sein Gesicht mit den aufgerissenen Augen. Edi richtet sich auf, sucht rumpelnd nach Zigaretten und Feuerzeug, stößt gegen den gläsernen Aschenbecher, der Funkenschlag des Feuersteins durchzischt den Raum. Lautstark saugt er den Rauch ein, starrt in die Ferne. Büdü verläßt das Bett, dieses Mal benutzt er die Toilette, wir hören aus dem Off jedes Geräusch, das er dabei verursacht.

Nuri Bilge Geyik
Erwartungshaltungen zu brechen ist schön. Insbesondere dann, wenn man sich im Innern sehr freut, daß es sie gibt. Hab gestern keinen Wein mehr aufgemacht und keine Gedanken mehr gehabt, wünsche meinen beiden Leserinnen einen wunderschönen Tag ohne Filmrezension und geh jetzt frühstücken zu mutlak töz, der was Schönes über Zeki Demirkubuz am Start hat.

Mittwoch, 3. Dezember 2008

So isses, wenn man wieder zurück aus New York im richtigen Ghetto ist - home sweet home :)

"Voll besoffen torkeln wir Winterfeldtplatz, da wo ich die Opfer schon als Kind geschellt hab. (...) Mein Schulweg war voll mit Nutten und Fixern, skrupellosen Dealern, die H im Park vertickten. Andere in unserem Alter spielten noch mit Playmobil, doch unsereiner machte schon mit 13 Jagd auf Pädophile. (...) Freier und Switches umgeben von Spannern geiern auf die Bitches aufm Weg ins Havanna. Ein Tag mehr in da hood... Man kann einen Straßenjungen ausm Ghetto holen, aber nicht das Ghetto ausm Straßenjungen - schließlich kann man auch nen Bauern ausm Dorf holen, aber nicht das Dorf ausm Bauern. Ihr wisst, was ich meine (...)"



Heute sah ich in der Umkleidekabine des Fitnessstudios das erste Mal eine nackte magersüchtige Frau. Trotz (oder wegen?) der Muskeln ein grausamer Anblick. 
Ladies, lasst uns Sahnetorten essen und Caipirinha trinken, auf dass unsere wunderschönen Kurven im Kerzenschein schimmern, statt dass Rippen-und Schlüsselbeinknochen Schatten auf unsere fahle Haut werfen! 


There are many different languages
Spoken in this land
But only one language that the
Fascists understand




wohingegen ich mir wünschen würde, daß die Sprache der Bundesrepublik eher eine ergativische wäre.

Dienstag, 2. Dezember 2008

jetzt, wo sich die Aufregung größtenteils gelegt hat und die ablehnend lakonischen Einträge kritisch intellektueller deutscher Blogger/innen veraltet sind, traue ich mich endlich zu schreiben:
wie schön es war, am Tag nach der Wahl Obamas "Chocolate City" von Parliament zu hören, das George Clinton mit den Worten einleitet
They still call it the White House
but that's a temporary condition, too.
Heut Abend geht von der Aufnahme schon wieder eine Aura des Triumphes aus. Es geht dabei gar nicht um Obama als Person, um das, was er machen oder nicht machen wird. Denn wer sich darauf konzentriert, bewegt sich beinahe schon in der Nähe der Vorstellung, Staatspolitik werde von Einzelpersonen gemacht, die gut oder schlecht sein können.
Ich weiß ja auch, dass Obama nicht Stevie Wonder zum Secretary of Fine Arts und Aretha Franklin zur First Lady ernennen wird, wie Parliament es utopisch formulierten. Trotzdem.

Montag, 1. Dezember 2008

Meine externe Festplatte gluckert, als hätte sie zu viel Wasser getrunken. Voll süß...
Meine Teepackung überfordert mich. Yogi Tee, Schoko, Aztec Spice. Das klingt schon so esoterisch, dass es ein guter Grund wäre, den Tee nicht zu kaufen. Doch da die drei Damen neben mir eine nach der anderen schnell ins Regal griffen, um eine der letzten Packungen zu ergattern, packte mich der Panik-ich-will-das-auch!-Reflex. Ich bin da einfach gestrickt - wenn das den meisten gefällt/schmeckt/usw., dann gilt das für mich meistens auch. Wie bei Harry Potter, aber das ist eine andere Geschichte. 

Eben öffnete ich nun die Teepackung, um zu schauen, ob sich der Kauf auch gelohnt hat (Esoterik kostet...). Auf der Suche nach irgendwelchen Angaben, ob man nun kochendes oder nur heißes Wasser nehmen soll, wie lange ziehen und überhaupt, las ich mich in der Teepackung fest. 

Im Innendeckel wird mir erst einmal eine Einführung in 'Ayurveda das Wissen vom Leben' gegeben, die schon mit einem bedeutungsschwangeren Satz beginnt: "Der geistige Ansatz des Ayurveda umfasst den ganzen Menschen in allen seinen körperlichen, geistigen und seelischen Aspekten." Dann wird über das natürliche Gleichgewicht philosophiert, und fasziniert lese ich, dass in jedem Menschen die Grundbausteine des Universums (Tattwas) in unterschiedlicher Weise vertreten sind. Nach einer kurzen Abhandlung über Rishnis, Yogis und Brahmanen hab ich die Hälfte des Innendeckels durchgearbeitet. Ich entschließe mich, die andere Hälfte über ayurvedische Kräuterrezepte zu überspringen, schließlich möchte ich in einer Stunde Gilmore Girls gucken. 

Auf der inneren Rückseite entdecke ich, als ich einen Teebeutel entnehme, einen Bericht über ein 'Gespräch mit einem Orangen-Deva', das laut Literaturangabe (!) im Mai 1968 stattgefunden hat. Ich glaube, ein Deva ist sowas wie ein Elf oder so. Jedenfalls sehr poetisch: "(...) Leben ist überschäumende Freude; jeder kleine Biss in ein Blatt, den eine Raupe tut, wird mit mehr Genuss getan, als wir das manchmal bei euch fühlen können - und eine Raupe hat nicht viel Bewusstsein. (...)" Ich mag Raupen.

Im Boden der Packung gibt es eine Einführung in ayurvedischen Bioanbau, viel von Pestiziden und Schwermetallen zu lesen. Traurig, das alles, Schöpfung kaputt und so. Aber die Erwähnung des vulkanischen Regenwalds Sumatras weckt in mir kurz das Fernweh, ich träume von Palmen und Meer. Trotzdem, die Raupe war mir lieber. Aber wo find ich jetzt die Zubereitungsvorschläge? 

Außen auf der Packung erfahre ich im Zuge meiner Suche etwas über einen gewissen Yogi Bhajan, der wohl den Yogi Tee erfunden oder zumindest populär gemacht hat. Unter der Überschrift 'Serving your Spirit' wird die Story historisch eingebettet, vorbildliche Wissenschaft. Kontextualisierung ist entscheidend für einen differenzierten Blick. 1969 kam besagter Yogi (also ein Jahr nach dem Raupendialog) wohl als Kundalini-Yogameister in den Westen, ab den frühen 1970er Jahren wurde der Yogi Tee bereits in den 'vegetarischen Golden Temple-Restaurants' in ganz Europa serviert, ab 1974 gab es den Tee dann in Naturkostläden zu kaufen, der großen Nachfrage wegen. Klar, die Hippies mochten das bestimmt. 

Yoga scheint für den Tee übrigens wichtig zu sein. Und deshalb findet sich auf der rechten Außenseite dann auch eine 'Yogaübung zur Bewusstwerdung (Gurprasad)', mit Bildchen und Anleitung: "(...) Atme lang und tief. Fühle, wie sich die Schale mit den Gaben des Universums 'füllt' und wie reich du beschenkt wirst. (...)" Wohl als Tribut an amerikanische Rechtsanwälte dann noch 'Bitte fragen Sie Ihren Arzt, ob diese Übung für Sie geeignet ist.' Ich finde es gut, dass auch Teeproduzenten sich um das körperliche und seelische Gleichgewicht der Käufer Gedanken machen. Weiter so.

Mein Blick gleitet über eine Information über die umweltfreundliche Herstellungsweise der Teebeutel und der Verpackung, über die anderen Sorten Yogi Tee, und ich denke, nun bin ich durch. Weit gefehlt - die Unterseite! Oh, da geht es um die Azteken und 'Xocoatl' als ihr 'Göttergetränk'. Schön, ich dachte immer, die hätten nur Menschenblut zu sich genommen. Hier werden die Azteken aber als echt nett dargestellt - Leute, die Vanille und Zimt mit Schoki mischen, klingen für mich sehr umgänglich. Und das alles mit Federschmuck, oder? Fast wie die Hippies, der Kreis schließt sich.

Und ich freue mich, dass ich nun wohl voll 'in' bin, denn die Packung teilt mir überdem noch mit, dass das Getränk ein 'echter Insider-Tipp sei, fast ein Kultobjekt für die, die ihn kennen und lieben gelernt haben: Schoki's best drink.' Ich finde, die Anglizismen sollten sie weglassen, ich möchte auf Yogi Tee-Packungen nur Sanskrit lernen. Oder Lebensweisheiten für den Tag bekommen, quasi eine Teepackung als Glückskeks. Hier finde ich etwas von George B. Shaw: "Frage die Wirklichkeit nicht 'warum?', frage deine Träume 'warum nicht?' ". Ooooh, das war jetzt aber schön... Ergriffen greife ich zum Wasserkocher, nachdem ich nun, eine halbe Stunde später, auf der Innenlasche links etwas über kochendes Wasser und 7 Minuten gefunden habe.

Noch habe ich mich nicht entschieden, ob ich den heutigen Einkauf als wahre Bereicherung in meinem Konsumleben sehen soll (= unterstützenswert = wieder kaufen) , oder ob ich, sobald es den Tee bei PLUS oder LIDL gibt, mir die Billigvariante ohne Text und Fußnoten hole. Ist ja langweilig, immer dasselbe Buch zu lesen...


Sonntag, 30. November 2008

strukturelle gewalt

im Graefekiez, wo Multikulturalität nach wie vor groß geschrieben wird, gibt es ein von jungen Migrant/innen betriebenes Etablissement; namentlich von Franzosen. Dort erkundigte sich meine Begleitung, ob man rauchen dürfe, man durfte. Wir nahmen also an einem der Holztische in der Nähe des Pianos Platz und wurden von einer exotisch interessanten, aber offensichtlich integrationsunwilligen Servicekraft bedient, die kein Deutsch sprach, sondern nur Englisch mit französischen Akzent. Unterdessen betrat ein junges deutsches Paar die Räumlichkeiten und nahm mit zwei Kindern und gefühlten drei Kinderwagen am Tisch hinter uns Platz. Bald kam aber eine zweite Bedienung hinzu, die in deutscher Sprache einen Aschenbecher brachte, und uns aufforderte, doch bitte einen Tisch am anderen Ende des Etablissements zu wählen, denn unterdessen sei eine Familie mit Kind eingetroffen, habe sich entschieden, nun einmal hier Platz zu nehmen, und da der Zigarrettenrausch insbesondere für das kleinere der Kinder schädlich sei, bitte sie uns um Rücksichtnahme. Allzu keck fragte ich, ob nicht vielleicht die Familie sich umsetzen möge, denn wir saßen ja nun schon eine Weile an unserem Tisch. Das Ehepaar, welches wohl gleichsam das alte Kerneuropa der jungen Familie ausmachte, quittierte dies nur mit - wie mein Begleiter sagte - "schrägen" Blicken; die Kellnerin appellierte an unser Verständnis. Sie war im Folgenden sehr höflich, und ich war bemüht, möglichst wenig von meiner Wut an ihr auszulassen, sagte lediglich überlaut und so kalt ich nur konnte, und ich kann kalt, wenn ich will: "Selbstverständlich haben Kinder hier im Kiez immer Priorität".
So wurde die deutschsprachige Bedienung zur Handlangerin eines Aktes struktureller Gewalt, wie er unter dem Deckmantel des friedlichen Zusammenlebens in einem multikulturellen Kiez längst schrecklicher Alltag geworden ist. Nur folgender Exkurs hilft mir über meinen Schock hinweg: In der Kulturanthropologie ist es zu einem Modethema geworden, aufzuzeigen, wie Machtverhältnisse beständig unter Akteuren im Alltag ausgehandelt werden, und offizielle Ideologien sowie staatliche Gesetze lediglich neben traditionellen Strukturen bestehen, die eine weitgehende Hegemonie im öffentlichen Raum für sich beanspruchen. Heideradatz, dies einmal nicht auf die Muslimbrüderschaft in Ägypten oder die Lage der chinesischen Minderheit in Malaysia anzuwenden, sondern auf den Sonntagabend im heimischen Kiez:
Wo ein Gastronomiebetrieb sich entscheidet, gegen das Rauchverbot zu optieren, aber keine designierten Raucher- und Nichtraucherbereiche einrichtet, entstehen "fluid boundaries" (Haberdasher 2006:27), die im Prozess eines "mental mappings" (Sieberg 1998:113) von den diskursberechtigten Akteur/innen ausgehandelt (negotiated) werden, sobald durch das Aufeinandertreffen zweier Gruppen mit unterschiedlichen Interessen bzw. kulturellen Verhaltenscodes das Bedürfnis nach Designation von Alterität (Chatterjee 2002:95) entsteht.
Nicht diskursberechtigt waren in diesem Falle wir, die Raucher, da unser Status einer der Liminalität im Sinne von Victor Turner war und sich in der "condoned transgression of an abstract law" (Olivishkov 2005:18) manifestierte, welche jederzeit im Namen konträrer partieller Interessen als transgressive gemarkert werden kann.
Daß divergierende kulturelle Verhaltenscodes für die Mehrheitsgesellschaft allerhöchstens im Rahmen einer "depressiven Toleranz" (Aysun Bademsoy) hinnehmbar sind, darauf verwies nicht nur die Tatsache, dass das kleinere der Kinder, das von der ganzen Sache gar nichts mitbekommen hatte, und ebensowenig diskursberechtigter Akteur war wie wir, später stark husten mußte, ohne überhaupt in Berührung mit dem von uns in 10 m Entfernung ausgesonderten Zigarrettenrausch gekommen zu sein. Sondern auch die unübersehbare Tatsache, daß die nicht integrationswillige, ausländisch sprechende Servicekraft von der ganzen Geschichte ebenfalls überhaupt nichts mitbekam und lediglich verwundert unsere beiden Kaffee an den weit entfernten Tisch hinterhertragen mußte. Daß die gar nicht wahrgenommen hat, inwieweit sich die fluid boundaries durch das entstehende Bedürfnis nach Designation von Alterität plötzlich verfestigten, während sie gerade mit ihrem Tablett die Distanz von der Theke zu unserem Tisch zurücklegte, zeugt doch nur von ihrer eigenen Alterität (Migrantin ohne Deutschkenntnisse) und ist ja wohl ein dicker Hund. Von wegen savoir vivre, scheiß Kopftuchträg... äääh, rothaarige frankophone Jazzhörerinnen.

Nicht ganz geblickt habe ich derweil, wo ich Zizeks Lacanschen Begriff vom "obszönen, genießenden Vater" hier unterzubringen hätte, wo doch der reale Familienvater im Raum allem Augenschein nach die ganze Zeit über weder obszön war, noch etwas genoß. Soweit ich sein Gesicht sehen konnte, nicht einmal die Tatsache, ohne ein Wort sagen zu müssen einen hegemonialen Raum eingerichtet zu haben.

(mein persönlicher Soundtrack hierzu: Le Bourgeois von Jacques Brel, obschon in dem französischen Etablissement in Wirklichkeit sehr guter Hardbop lief)