Sonntag, 9. November 2008

mit 17 tat ich viele Dinge, die meinen Vater verärgerten. Eines davon, jenseits politischer und geschlechtlicher Identitätssuche, war das Action Painting. Große Bögen Packpapier spannte ich auf die Tür, noch größere an die Rauhfasertapete; mit Dispersionsfarben aus dem Baumarkt und wenigen groben Pinseln ließ ich dynamische Werke entstehen, die sich nicht selten auf Türrahmen, Wand, Bett und Regalen fortsetzten. Es war die nerdigere Version des damals in Dortmund sehr verbreiteten Sprayens, und glaubt man daran, dass die Kernfamilie die Keimzelle des Staates sei, so richtete sie mindestens ebenso viel gesellschaftlichen Schaden an.
Zu jeder Session legte ich Klassiker und Evergreens des free jazz, des noisecore oder der improvisierten Musik auf. Meine Vorbilder mag ich kaum noch nennen, es waren Penck und Baselitz, glücklicherweise auch Jackson Pollock, den ich nach wie vor mag. Dessen Werk 1960 auf dem Cover eines Albums von Ornette Coleman Verwendung fand. So alt ist schon die Idee, raumzeitliche Dynamiken moderner Malerei mit denen improvisierter Musik zu verbinden.
Und dennoch verzieht ein Ansager eine Schnute, als er gestern in der Berlinischen Gallerie einen Auftritt von Phil Wachsmann, Ronit Kirchman und Paul Lovens ankündigt, zu dem eine Berliner Künstlerin Malerei, "auf neudeutsch Action Painting" beitragen werde.

Dass die Grenzen zwischen den Kritikern der Verdenglishung und den Überbleibseln einer einst staatlich subventionierten Kulturszene fluid sind, war mir schon klar. Jene sprechen einem Unternehmen wie der Bahn das Recht ab, Worte wie "InfoPoint" zu benutzen, tolerieren aber formell, und vermutlich auch inhaltlich, die "kostenlose Familienkindermitnahme" im Fernverkehr. Diese brüskieren sich über Kommerzialisierung und Populärkultur, trauen aber ihrem eigenen Publikum anscheinend nicht zu, kritisch differenzieren zu können, wenn etwas als Hochkultur deklariert daherkommt.

Wachsmann, Kirchman und Lovens spielten im Rahmen des Total Music Festivals. Es war das einzige Konzert, das ich mir angeschaut habe, obschon sicher nicht das einzig lohnenswerte. Zwei Violinen und die Perkussion, konzentriert, unaufdringlich virtuos, humorvoll, und so. Wachsmann und Lovens sind zwei in jeder Hinsicht bewundernswerte Musiker zeitloser Präsenz, und die noch junge Kirchman (ja, bei der improvisierten Musik ist ein Mensch meines Alters noch jung...) aktivierte sichtlich ihr gesamtes Können, um auf gleichem Niveau beizutragen. Man mochte ihnen gern zusehen, wie sie interagierten.
Konnte ich aber nur bedingt, weil ja die neudeutsche Action Painterin im Hintergrund zugange war. Sie hatte zwei oder drei lustige Ideen, die bei ihren zwei oder drei mitgebrachten Fans laute Lacher erzeugten, weil sie vorher sicher noch niemand gehabt hatte. So mit einem Putzlumpen Farbe auf die Fläche zu klatschen oder sie mit der Spitze eines Hämmerchens zu malträtieren, weil ja die drei professionellen Musiker/innen oft so verhalten improvisierten, dass immer noch Platz für ein paar durchdringende Hammerschläge war ha ha ha. Oder mit Wachsmalstift mehrere Davidsternchen auf den Malgrund zu kritzeln, sicher formte sich spontan die Assoziation Wachsmaler-Wachsmann-Jud im kleinen Berliner Künstlerinnenköpfchen, voll so stream-of-consciousness.

Die beiden erfahrenen Herren ließen sich nicht ansehen, wie sie zu der neudeutschen Actionpainterei standen, die mit affektierten Gesten á la stade des miroirs immer größere Batzen der Publikumsaufmerksamkeit einforderte, und zunehmend blödere Werke hinterließ, während der Klang der Musik schon der Ephemerität anheim fiel.

In dieser Konstellation zwischen flüchtig Bewegendem und bleibend Sichdurchsetzendem scheint sich all das zu kristallisieren, was aus dem Total Music Meeting, seinen Organisator/innen und seinem Publikum geworden ist. Das, was ich mit 17 in Dispersionsfarben ertränken wollte. Selten habe ich mich sozial so unwohl gefühlt bei einer Musik, die ich mag.


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