Dienstag, 18. November 2008

letztlich ist es doch jedes Mal erleichternd, wenn in einer Publikation mal nicht von "Kopfwindelträgern" die Rede ist. Dennoch stößt als etwas irritierend auf, dass eine "Forscherin" gleich mit dem Catch-All-Label "deutsch-türkisch" belegt wird, wenn sie einen Uniabschluss in Berlin gemacht hat. Im gleichen Artikel nämlich bezeichnet Sabine Küper-Büsch Rifat Bali keinesweges als "gallo-türkisch", weil er an der Sorbonne studiert hat.
Aber das sind Feinheiten, man ist ja froh. Dass die Jungle World neben einer Besprechung von Corry Guttstadts "Die Türkei, die Juden und der Holocaust" gleich einen Artikel von Sabine Küper-Busch über "Antisemitismus und Multikulturalismus in der Türkei" bringt. Nun, auch wenn für gute Deutsche alles, wo mehr als ein Türke involviert ist - insbesondere gilt dies für Stadtteile - unter "Multikulturalismus" fällt, und es in der Türkei davon so einige gibt, lässt sich fragen, ob die Situation mit dieser Phrase adäquater charakterisiert wird als H. Bayraktar mit "deutsch-türkisch".
Ich sollte aber von diesem peniblen Bekritteln ablassen, denn man ist ja froh.
Zumindest, bis Küper-Büsch, die durchaus andernorts deutsche Wahrnehmungen der Türkei auseinanderzunehmen vermag, über den Film "Tal der Wölfe - Irak" schreibt:

Als der türkische Film »Tal der Wölfe« im Januar 2006 in Deutsch­land in die Kinos kam, sorgte vor allem sein unverhohlen antisemitischer Subtext für Irritationen. In der Nebenfigur des jüdischen Arztes, der irakischen Opfern die Nieren entnimmt, um sie an Kunden in New York, London und Tel Aviv zu verkaufen, zeichnete er eine solch plumpe Ka­rikatur des raffgierigen Juden, der über Leichen geht, wie man sie vielleicht in einem Nazi-Propagandafilm, aber kaum in einem türkischen Mainstream-Kassenschlager erwartet hätte.

Und? Die Sätze stimmen, für sich genommen, alle. Dass in Deutschland vor allem der antisemitische Subtext Aufsehen erregt hat, ebenso, wie dass der Film ein Mainstream-Kassenschlager war. Das is ja ma was. Aber genau diese Wahrnehmung in Deutschland ist ein Problem.
Als ich seinerzeit auf der Pressekonferenz zur Vorstellung von "Tal der Wölfe - Irak" die faschistischen Propagandareden der selbstbewusst grinsenden Erzeuger und die naiv entrüsteten Fragen der deutschen Mainstream-Kassenschlager-Journalisten anhören musste, bezog sich ein Großteil der Vorwürfe zunächst darauf, man habe ja wohl einen offen antiamerikanischen Film gemacht und wie kann man nur. Was bei Küper-Büsch Subtext heißt, wurde nur insofern und erst dann als moralische Keule herbeigezogen, als die Erzeuger selbstbewusst grinsend den naiv entrüsteten deutschen Mainstream-Kassenschlager-Journalisten zur Antwort gaben, es seien ja schon so viele amerikanische anti-x Filme produziert worden - ich glaube, sie zitierten tatsächlich Rambo in Vietnam herbei –, dass man doch einmal den Spieß umdrehen könne.
Wer herrschaftskritische Ansätze nicht für voll nimmt, muss hier eigentlich argumentativ passen. Das haben einige Deutsche getan, die den Film ansahen: Stimmt, die haben das ja nur umgedreht, muss man doch auch verstehen. Oder man muss das anführen, was antiamerikanische Äußerungen immer verwerflich macht: Deren unweigerlich antisemitische Dimension. Nun war auch vieles von dem, was in den Redaktionen hierzu entstand, differenziertere Filmkritik als das, was sich auf der Pressekonferenz bot.

Ich habe weiterhin nichts als Verachtung für diejenigen übrig, die vor Antiamerikanismus nur deshalb Schiss haben, weil er bedeuten könnte, dass der islamische Mob mal über die Stränge schlagen und über sie selbst herfallen könnte. Bei ihnen bekommt das Wort "Antiamerikanismus" als Vorwurf einen McCarthy-Beigeschmack, bei ihnen schwingt schon die Entrüstung mit, in der Merkel Meisterin ist: Wir Deutschen müssen immer gegen alles Unrecht in der Welt Stimme erheben. Selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich müssen wir Deutschen dann sofort die Juden in Schutz nehmen, damit das Relief zwischen gut und böse auch kontrastiert genug erscheint.

Wer sich nicht auf dieser Ebene bewegt, mag - wir kehren zu Küper-Büschs Text zurück - sich an der Formulierung eines "antisemitischen Subtextes" reiben. In dem Film gibt es sicher einen patriarchalen, orientalistischen, etc. Subtext. Aber der Antisemitismus ist Text, der is nich sub. Die Leute sind in den Film gegangen, weil er, wie die meisten der nach dem Kinobesuch von mir interviewten Zuschauer/innen aussagten, "endlich zeige, was da wirklich passiert".

Seit damals wollte ich darüber schreiben, es bot sich nie Gelegenheit. Der Film "Irak" ist ein Kino-Spin-Off der überaus erfolgreichen Fernsehserie "Tal der Wölfe", und die spielt nun mal in der Türkei. In den kurdischen Gebieten. Held der Serie ist ein Mann, der verdeckte Operationen für die Sicherheitskräfte durchführt, also Kurden erschießt, und gegen all das hinderliche red tape, das der Staat auch bedeutet, auf die Zusammenarbeit mit dem organisierten Verbrechen setzt. Damit setzt er eine rechtsradikale Agenda um, denn so arbeiten Faschisten in der Türkei wirklich, und dies ist seit dem Susurluk-Skandal von 1996 immer wieder Thema der Bürgerrechtsbewegung, der linken Bewegungen, der Reformdebatten gewesen. Der Serienheld hingegen ist zu einem Idol einer ganzen Generation faschistischer Lumpen geworden, von Verkehrspolizisten mit Folterphantasien über Arbeitslose, die in Internetcafés First-Person-Shooters zocken, bis zu dem angeblich einfältig gläubigen Killer Hrant Dinks. Er ist Radikalisierungsikone dessen, was Murat Belge nach dem Mord an Dink den "spontanen Faschismus" nannte, der viel gefährlicher als der organisierte geworden sei. Von wegen Einzeltäter.

Insofern ist allein die Präsenz dieses Helden, eines Agenten namens Polat Alemdar, im Irak ein Skandal. Denn im Irak hat die Türkei nichts zu suchen. Doch seit die USA 1991 in den kurdischen Gebieten einen "safe haven" einrichteten, haben sie immer wieder Vorstöße des NATO-Partners dorthin geduldet. Neben den verheerenden türkischen Großoperationen installierte sich ein Netzwerk von Männern, denen der Agent Polat nachempfunden ist: Erfahrungen im Töten haben sie im Kampf gegen die PKK im Inland gesammelt, mit der faschistischen Bewegung und/oder den Geheimdiensten sind sie verbandelt, zusätzliche Operationsfreiheit verschafft ihnen die türkische Mafia. Als die USA 2003 nach ihrem Einmarsch in den Irak türkischen Sicherheitskräften Säcke über die Köpfe zogen, waren die Betroffenen keine Fußsoldaten, sondern Kader vom beschriebenen Schlag. Und hieran entzündete sich der spezifisch antiamerikanische Aspekt der faschistischen Propaganda, der in zitiertem Film eines seiner wirkungsvollsten Werke geschaffen hat. Bis zum Interessenkonflikt um den Irak haben die faschistische Bewegung in der Türkei und die USA mehrere Jahrzehnte lang erfolgreich zusammengearbeitet.

Der Agent Polat ermordet in dem Film, ebenso wie in jeder Serienfolge, Dutzende von Kurden, traktiert Araber, tut alles, was faschistische Paramilitärs schon immer getan haben. Nur legt er sich jetzt zusätzlich mit US-Soldaten an. Und dadurch wird der antisemitische Aspekt dieses Faschismus sichtbar, denn zur Legitimation eines zusätzlichen Aggressionsziels USA vor dem Publikum braucht es ihn. Die Behandlung der Araber kann ja schlecht als Grund herhalten, denn was den Umgang mit den Staatsinteressen entgegenstehenden Bevölkerungsgruppen angeht, ist man in der Türkei ganz Anderes gewohnt, und könnte man heute in Mosul, wie man wollte, würde man die Taten der USA dort vermutlich toppen. Glaubensbruderschaft geht ebenfalls nicht, denn die faschistische Bewegung ist säkulär bis religionsfeindlich, auch wenn sie sich den Zeittrends mittlerweile etwas anpassen muss.

Also wird das Weltsystem bekämpft, das die Türken schon immer ungerecht behandelt hat, hier in Form von organhandelnden jüdischen Ärzten (schon in der Wahl eines Arztes steckt, wichtiger als die hierzulande konstatierten Parallelen zur Figur Mengeles, Misstrauen gegen Aufklärung, Wissenschaft, moderne städtische Institutionen - Intellektuellenfeindlichkeit), die im Film das tun, was die faschistische Mafia in türkischen Großstädten in Wirklichkeit tut: Armen Menschen die Organe rauben und verticken. Im Film aber kann man sich als eine Art bessere Alternative fühlen; man würde den Menschen guttun, wenn man selbst dort Kolonialmacht wäre. Und erst gar keine Ärzte schicken. Agent Polats Nachname lautet Alemdar, das heißt auf Osmanisch: Dem die Welt gehört.

Es ging bei Küper-Büsch in der Jungle World nur marginal um das Tal der Wölfe, und mir nicht um eine Attacke auf den Artikel, sondern eine eigene Auseinandersetzung. Dennoch stört diese Verkürzung, die sämtliche anderen Dimensionen des türkischen Faschismus ausblendet und die antisemitische herausgreift, weil sie sich umstandslos in den deutschen Mainstream integrieren lässt; weil isolierten Antisemitismus zu kritisieren nicht zwangsläufig Kritik von weltweit agierenden Strukturen zu erfordern, sondern mit der Abgrenzung vom moslemischen Anderen sich abgelten zu lassen scheint.

Hier müsste eine Antisemitismkritik, die es ernst meint, einen Schritt weiter gehen und sich vom Mainstreamkonsens verabschieden, für den die Taten türkischer Faschisten nie thematisierenswert waren, solange die sich nicht gegen NATO-Strategien gewandt hatten - und dem es auch heute keineswegs um Herrschaftskritik bestellt ist.

Leider hat Justus Wertmüller, soweit ich mich zurückzuerinnern vermag, seinerzeit in einer Polemik gegen die Kurdistansolidarität in der Jungle World die Paramilitärs, die das "echte" Pendant zum Agenten Polat bilden, vehement verteidigt, mit dem schön realpolitischen Argument, dass sie ihre Ausbildung in Israel erhalten hätten. Es ist ein seltsames Gefühl, Küper-Büschs wichtigen und fundierten Artikel in der Jungle World zu lesen, einerseits fast unterwürfige Dankbarkeit verspürend, dass da sowas nicht mehr drinsteht, andererseits aber als gebranntes Kind unwillkürlich verschärftes Misstrauen walten lassend, das die Autorin vielleicht gar nicht verdient hat.

Oder doch? Gleich nach der Filmdiskussion spricht sie von der Hochkonjunktur antisemitischer Literatur, welche die Unterwanderung der Türkei durch Kryptojuden behaupte. Dann erklärt sie uns ausgiebig, was das denn sei, und schließt mit der Formulierung "...behaupten radikale Islamisten". Die ja sowieso immer nur Böses tun. Tun sie ja auch. Küper-Büsch aber unterschlägt uns, dass die Masse der Publikationen, sowie die größten Bestseller unter ihnen, im Gegenteil aus kemalistischer Sicht behaupten, die islamische AKP-Regierung sei eine Bande von Krypojuden.
Antisemitismus in der Türkei, das wollte schon H. Bayraktar in ihrer Arbeit nicht benennen, ist wesentlich unter Kemalisten zu Hause, ist Strukturelement linkspopulistischer Agitation, hat seine ideengeschichtliche Verortung primär im säkularistischen Nationalismus.
Ich finde, bei dem Thema - wenn man es schon so eindringlich behandelt hat - lohnt es sich, vorsichtig zu sein und genauer zu schauen, auch wenn es gerade en vogue ist, Moslems nicht zu mögen. En vogue zu sein hilft aber niemandem, menschenfeindliche Herrschaftsideologien zu analysieren.


Keine Kommentare: