Sonntag, 9. November 2008

Die Flohmarktprinzessin und der Nazi

Völlig versunken tanzte sie zur Musik, die aus ihren Kopfhörern kam. Nicht, dass man damit nachts in der U1 in Kreuzberg auffallen würde. Aber sie sah schön aus, wie eine verträumte Fee. Und fiel daher doch auf. Zumindest mir und dem kleinen Nazi, der mir in der Bahn gegenübersaß. 

Grinsend stieß er seinen Kumpel an und deutete auf die Fee mit den langen blonden, leicht verfilzten Haaren, zu zwei unordentlichen Zöpfen gebunden, die da in der Ecke des Waggons stand und tanzte. Und konnte von da an seinen Blick nicht mehr von ihr lassen. Wie gebannt starrte er auf ihre schwarzen Netzstrumpfhosen, die braunen Retro-Stiefel, die viel zu weite abgeratzte Kapuzenstrickjacke, den  leicht verschlissenen Blümchenrock. Die meisten jungen Frauen, die nachts in der U1 von Kreuzberg nach Friedrichshain sitzen, sind in diesem Stil gekleidet, gerne mit Bierflasche als Accessoire. 

Der kleine Nazi schob seine schwarz-weiße Stirnmütze auf den kurzgeschorenen Haaren nach hinten, bleckte die Zähne (abgebrochener Vorderzahn, wie klassisch...). Der tätowierte Skorpion an seinem Hals sollte wohl eine Männlichkeit konstruieren, die ihm aufgrund seiner schmächtigen Größe sicher öfter abgesprochen wurde. Aber selbst die Bomberjacke mit all den Abzeichen wirkte in diesem Ambiente eher lächerlich denn bedrohlich.

Als der Nazi bemerkte, dass ich fasziniert von seiner offensichtlichen Faszination für die Flohmarktprinzessin war, zischte er kurz einen undefinierbaren Laut in meine Richtung, so dass ich mich erst einmal den Fußballergebnissen im 'Berliner Fenster' widmete. 

Kurz darauf erhob sich der Skorpion samt dranhängendem Jüngelchen, und er stellte sich dicht, sehr dicht, hinter die tanzende Fee. Die bemerkte nach wie vor nichts und war völlig abgetaucht in ihrer Musik. Auf wirklich unsubtile Weise musterte der Nazi diese Frau, die eigentlich so völlig außerhalb seines ästhetischen Empfindens (...) und erst recht seiner Reichweite stand, ließ den Blick immer wieder an ihren benetzstrumpfhosten Beinen rauf und runter fahren und sah aus, als wolle er sie gleich antanzen oder anfassen.

Endstation Warschauer Straße. Wir alle wechseln in die Tram. Die Fee tanzt und träumt nach wie vor. Der Nazi und sein Kumpel suchen sich einen Platz mit gutem Blick auf die Schöne. Schon eine Station später steigt sie wieder aus. Kurz hab ich fast Angst um sie, Angst, dass die beiden ihr in die dunkle Friedrichshainer Nacht folgen werden. Stattdessen kleben die beiden an der Scheibe und schauen zu, wie die Flohmarktprinzessin, kurz nachdem sie sich in ihr Leben getanzt hat, schon wieder in ihre eigene Welt entschwindet. Selbst ein Nazileben im heutigen Berlin entbehrt nicht einer gewissen Tragik...


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