Sonntag, 12. Oktober 2008

Sonntag mit dem Weltgeist

ich habe ein Problem. Weiß aber nicht, ob ich darüber mit jemandem reden kann. Oder überhaupt möchte. Ich versteh ja nicht viel von Wirtschaft; mein Erfahrungswissen beschränkt sich auf zwei-drei Kapitalschulungen in meiner Jugend und das sporadische Spielen von Freibeuter- und Freihandelssimulationen am Computer, jetzt im reiferen Alter. Beim Das Kapital wollte ich immer nur das Kapitel über den Warenfetischismus machen, weil ich mich so entfremdet gefühlt und ganz gut bei Hegel ausgekannt hab. Heut nutzt es mir nur noch dazu, dem als akribischer Recherchierer hochgeknuteten Wolfgang Schorlau eklatante Fehler (ja ja, G-W-G' als Synekdoche, ne?) nachzuweisen, was mir wiederum nur in den Sinn kommt, weil ich ihn einen schlechten Autor finde. Die Simulationsspiele hingegen nutzen dazu, jene größeren Zusammenhänge zweitweise zu vergessen, die als blinde Gewalten mein sehr unglückliches, obschon sicher nicht unterprivilegiertes Leben bestimmen.

Daher komme ich nicht umhin, meine Bereitschaft zu hinterfragen, Meldungen über die Finanzkrise Glauben entgegenzubringen. Paul Auster soll sie ja alle lesen und trotzdem kaum verstehen, was da passiert. Ich hab eigentlich nur eine überflogen. Die war so herrlich performativ aufgebaut, auf sowas fall ich immer rein und kauf mir dann irgendwas, wo vorne ein i- dransteht.
"Da staunen selbst Altlinke: US-Vorherrschaft bröckelt".
Zunächst musste ich als Altlinker staunen, dass jemand sich solche Schlagzeilen einfallen lässt. Die Vorstellung, dass ein Altlinker noch über einen Vorgang in der dinglichen Welt ein Staunen empfinde, - auch wenn es kein philosophisches ist, da es nicht am Anfang einer Erkenntnis steht, es sei denn der, daß die Vorstellung von Geschichte, aus der es stammt, nicht zu halten ist - scheint Nachrichtenwert zu besitzen. Ich erlebte eine Althussersche Anrufung aus dem Netz, ein he-sie-da.com, das mir erstaunlich bei meiner fortwährenden Subjektbildung half. Denn da schien mich die Weltgeschichte persönlich anzusprechen.

Im harten Winter, der auf das Jahr 2001 hinauslief, und inmitten der wirklich spürbar harten Auswirkungen der damaligen türkischen Wirtschaftskrise, las ich in meiner aus Kostengründen kaum geheizten Istanbuler Wohnung einen Artikel. Oben wohnte der Sohn des Hausbesitzers, ein großer Klerikalfaschist vor dem HErrn, unten ein Lehrerehepaar mit einer sehr netten, linksterroristischen Tochter. Die Zeitung hatte man mir aus Großbritannien zugeschickt, sie wurde von revolutionären Kommunisten herausgegeben, die es zeitlebens mit ihrer Kapitalrezeption sehr geflissentlich gehalten hatten, und eine Autorität schrieb über die theoriegesetzliche Unausweichlichkeit, dass die Überbürdung der US-amerikanischen Finanzmärkte mit fiktiven .... notwendig zum Zusammenbruch ... Frage der Zeit ... Verlust der politischen... Und so.

Ich fand das damals sehr interessant, weil ja Käse und Erdgas so teuer waren, war aber schon alt genug, um zu wissen zu meinen, dass marxistische Prognosen so viel Wert sind wie das Papier eines Positionsflugblattes zum ersten Mai in Bremen. Aber Ihr wisst ja, wie das bei dem Hegel mit dem Meinen ist. Dann kam erst einmal der 11. September, und man hatte andere Fragen.

Nicht, dass mir nicht eben in den Sinn gekommen wäre, wie der Lenin mal zum Trotzki meinte, auch eine stillstehende Uhr zeige zweimal täglich die rechte Zeit an. Trotzdem.

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