Donnerstag, 12. März 2009

jetzt bist du erstochen worden, Ebru. In deiner Wohnung, über die Esmeray sich ihr Maul zerrissen hatte, damals, du hättest das Geld dazu, weil du junge Ladies für dich anschaffen ließest. M. hatte wegen ihrer Faszination für dich ihre Beziehung zu V. aufs Spiel gesetzt, weißt du noch, es hatte alles in dieser Dachwohnung in Kreuzberg angefangen, wo wir beiden miteinander Vodka tranken, während die anderen den Film schnitten. Es gibt noch ein Foto von uns aus dieser Zeit, ich war sehr dick und trug einen geschmacklosen Pullover, du hattest mich in deine gewaltigen Arme genommen und deine geflochtenen Zöpfe kitzelten auf meinem Gesicht. Vodka sei schlecht fürs Sexualleben, sagtest du, und du hattest recht. Heute hab ich draußen wieder zwei getrunken, bevor ich die Mail mit der Nachricht las. Du. Mit homophoben Schweinen konntest du doch umgehen, mit plötzlich ausrastenden Typen. Für dich war ein unverhofft gezogenes Messer nichts Besonderes. Fürchtest du auch, daß es diesmal das Klima war, die Islamisierung und Faschisierung, die deinem Mörder die Kraft gaben, dich so zu treffen? Oder warst du inzwischen gealtert, war dein spannender Rücken nicht mehr so muskulös wie früher? Es beschämt mich, so etwas überhaupt zu denken.
Letztens noch erzählt, wie du zu mir gekommen warst mit deinem Asylgesuch für die Schweiz, das einzige Land, das Anträge im Herkunftsland annahm. Inmitten all der erloschenen Typen hattest Du sogar was Herrisches an Dir. Wie sämtliche Anwälte und Anwältinnen aus unserer Kanzlei höflich bestimmt darauf hinwiesen, meine Arbeitszeit habe doch den politischen Gefangenen und Folteropfern zu gelten, also den ernsten Fällen, und überhaupt, das Volk sei noch nicht so weit, sowas zu akzeptieren. Nur die Köchin war freundlich zu dir, für sie war es gleich, wer was brauchte. Hauptsache Mensch. Dann kamst du ja nicht wieder, um die Frist zu wahren, warst zu sehr mit deiner Wohnung beschäftigt. Klar, wer will auch aus einer Stadt wie Istanbul wegziehen. Wo M. dich heimlich besuchte, sie hat mir die Fotos gezeigt von eurer Schiffsreise.
Sentimental, weiß ich nicht. Ach, war ich doch schon immer. Klar hast du recht, shit happens.


Edit? Vielleicht. Jedenfalls bist du es nicht gewesen, ich hatte letzte Nacht eine Mail bekommen, in der nur Dein Vorname erwähnt wurde. Jetzt weiß ich mehr: Die Ermordete heißt Dilan Pirinc, war achtundzwanzig und blond. Erleichtert? Schon, und auch dafür schäme ich mich. Über eine Lebende furchtbar Privates gebloggt zu haben, und eine Tote nun weniger zu betrauern, weil sie nicht die ist, also Du.
Oder bist doch Du schon wieder tot, jetzt wo ich ein anderes Gesicht gesehen hab, ist es doch die gleiche Tat. Immer wieder die gleiche.
Absurd, daß ein Autor des schwullesbischen Portals Kaos GL in einem Nachruf mit Dir, der toten Ebru, dieses Gedicht von Nazım Hikmet in Verbindung bringt,

Buyrun, oturun dostlar,
Hoş gelip sefalar getirdiniz.
...
Kimbilir nasıl yanmıştır canınız...
Ayakta durmayın, oturun,
Ben sizi ölmüş zannediyordum.
...
Yüzünüzde yıldızların aydınlığı
Hoş gelip sefalar getirdiniz...”

Kommt und setzt euch, Freunde,
ich freu mich, daß ihr da seid.

Wer weiß, was ihr erlitten habt
Setzt euch doch lieber
Ich dachte ohnehin, ihr seid tot.

Ihr habt ja Sternenglanz im Gesicht
Schön, daß ihr da seid.

(Nazım Hikmet: Über den Tod, eigene Übertragung)

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