Samstag, 7. März 2009

Von Kapitalismus und anderen Zwischenfällen

Jeder, der mich etwas besser kennt, weiß, dass mir jegliche romantische Gefühle gegenüber Kommunismus, Feminismus und co. stets abgegangen sind. Revolutionsromantik gleichwohl. Nach einem geflügelten Wort hat ein Mensch, der mit 18 kein Kommunist ist, kein Herz, ein Mensch, der mit 30 immer noch Kommunist ist, keinen Verstand. Auf diese Art von Herz und Verstand verzichte ich gerne, denn ich nähere mich dem Thema irgendwie von einer untypischen Weise. Ganz ohne Romantik - glaub ich zumindest. Und mit Verstand - hoff ich zumindest. 

Eigentlich wollte ich nur mal wieder an einem Seminar der Böll-Stiftung teilnehmen, wie es sich als Stipendiatin gehört. Ohne es zunächst zu realisieren, bin ich damit auf einem riesigen Kapitalismus-Kongress von Attac gelandet, der dieser Tage in Berlin stattfindet. Attacis gehörten für mich bisher - ganz herzlos - zu der Art Leuten, die ich gemeinhin unerträglich finde: linksalternative Querulanten, die aus Prinzip einfach mal dagegen sind. Meine Lieblingspartei, der ich nun auch schon 13 Jahre lang angehöre, hat von dieser Sorte Mensch zumindest an der Basis auch reichlich. Aber erstens haben Koalitionszwänge - oder sollte ich sagen: Machtwillen? - die letzten Jahre parteiintern ganz erstaunlichen Realitätssinn - oder sollte ich sagen: Idealverlust? - hervorgebracht. Zweitens sind diese Leute an der Basis der Grund dafür, warum ich von Bezirksgruppentreffen regelmäßig fliehe. Bei Attac hingegen vermutete ich wirkliche Chaoten, jedeR gegen jedeN, eine Kakophonie spinnerter Ideologien.

Samstag früh morgens an der TU. Hunderte Leute schlurfen schon durch die Uni, das unglaublich dicke Programmheft in der Hand. An jeder Säule klebt ein Plakat, von dem Marx mich streng anschaut oder sich mir rote Graffiti-Fäuste entgegenrecken - auch du, Genossin, bist gefragt! Oh nee, das klingt anstrengend. Und veganen Kuchen gibts. Alle Befürchtungen glaube ich bestätigt. Aber das Programm ist wirklich beeindruckend. Fast hundert Seminare, Workshops, Podiendiskussionen mit z.T. hochkarätigen Besetzungen, alles dabei, von Kapitalismus und Ökologie über Kapitalismus und die Ernährungskrise oder Alternativen zum Kapitalismus bis zu Medienkritik, Demokratiekonzepten, feministischer Kapitalismuskritik oder Einführungen in den Marxismus. 

Am allerbeeindruckendsten finde ich jedoch ganz einfach die Tatsache, dass an einem verregneten Samstag morgen Hunderte Menschen wirklich jeden Alters - und zwar von ca. 15 bis 80 Jahren total gleichmäßig verteilt - sich für einen ganzen Tag einfinden, um richtig ernsthaft über all diese Themen zu diskutieren. In den Kaffeepausen sieht man ein paar Jungs, die man sich eigentlich besser auf nem Skateboard vorstellen kann, über die Möglichkeiten und Grenzen eines radikalen Pazifismus diskutieren. Schicke junge Frauen informieren sich an einem Stand über kritischen Konsum und kaufen Broschüren. Ein Jüngling neben mir malt mit einem pinkfarbenen Textmarker in Naomi Kleins 'No Logo' eifrig rum. Dabei ist doch heute Samstag, und für einen Großteil der Leute dieser Altersgruppe ist vermutlich Deutschland sucht den Superstar das Highlight des Tages. Hier jedoch wird auf einem Podium diskutiert, wie Massenmedien - von Google über die Springerpresse bis zur Tagesschau - Realität produzieren statt darzustellen, Zusammenhänge verzerren statt zu erklären.
         
Wer mich kennt, weiß auch, dass ich ein recht ironisches Verhältnis zu jeder Art von Gutmenschentum pflege. Aber das hier, es beeindruckt. Wenn ich sehe, wie Frauen - und Männer!!! - mit viel Engagement und Spaß über das Verhältnis von Feminismus, Kapitalismus und Marxismus diskutieren, dann kriege ich ehrlich gesagt eine krasse Wut, dass so viele intelligente - oder sollte ich sagen: gebildete? - Frauen um mich rum glauben, ihr größtes Problem sei der richtige Push-Up-BH, die ideale Mascara oder ein Mann, den sie runtergehungert beglücken können. Die glauben, Feminismus betreffe sie nicht. Ich werde wütend auf Männer, die die Tatsache, dass sie ihre maskuline Identität nur über eine Vollzeitstelle definieren, nicht einmal bedenkenswert finden. (Hier entspinnt sich im Publikum jedoch unter einigen Männern eine Diskussion bzw. Selbsthilfegruppe, die rührend ist: einer nach dem anderen berichtet von dem Gefühl der Entwertung, die Arbeitsplatzverlust oder Renteneintritt für sie bedeutet haben, und der Erleichterung, darüber endlich einmal reden zu dürfen.) Ich bin genervt, dass einige gebildete Menschen in meinem Umfeld nicht einmal Willens sind, über all die Zusammenhänge nachzudenken - geschweige denn, irgendwas zu ändern. Konsumverhalten ändern oder Selbstbild zu ändern oder einfach nur mal drüber zu diskutieren. Ohne jetzt zu selbstgerecht rüberkommen zu wollen - oder zu behaupten, dass mich Tag und Nacht nichts anderes umtreiben würde: wie kann man all das ausblenden???? Gerade als Frau???? Aber eben auch zunehmend als Mann...(ist ja eh alles konstruiert :)....)

Auf dem Heimweg nehme ich das ZEIT-Magazin in die Hand. Titel: "Ein Heft über das Glück des Shoppings". Es ist offensichtlich nicht ironisch gemeint, stelle ich fest. Darüber kann ich grade nicht mal mehr müde lächeln. Fotos von hysterisch mit Einkaufstüten winkenden Frauen in lächerlich hohen High Heels. Wenigstens Harald Martensteins Kolumne enttäuscht mal wieder nicht. Zitat: "Arbeit ist Zwang. Diese kleine Wahrheit ist heutzutage tabu. Seitdem es Menschen gibt, haben die meisten von ihnen gearbeitet, um zu leben, nicht, um ihr Selbst zu verwirklichen. Die Verwandlung der Arbeit in eine für alle jederzeit angenehme Selbstverwirklichungstätigkeit ist Kern der kommunistischen Utopie. (...) Auf die Idee, dass abhängige Arbeit in einem ganz normalen Betrieb automatisch mit Selbstverwirklichung einhergeht, dass diese Arbeit besser fürs Selbstbewusstsein und fürs Ich ist als zum Beispiel Familie oder Kinder, auf diese Idee kann man nur kommen, wenn man gut ausgebildet ist und zur oberen Mittelschicht einer reichen Gesellschaft gehört." 

Ich frage mich auch, warum ich über all das hier erst jetzt anfange nachzudenken, ohne gleich wieder zu fliehen. Nicht mit 18, sondern mit 31. Vielleicht ist der Grund der, dass das hier keine Fragen des Herzens sind. Sondern des Verstands. 


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