Montag, 20. Juli 2009

Es fährt ein Zug nach Nirgendwo

Der Servicemensch der BVG schaute mich ziemlich spöttisch an, fand ich. Und nur, weil ich gefragt habe, ob hier denn nun noch die Tram kommt oder nicht. So langsam gewöhnen wir uns im Zuge des S-Bahn-Chaos hier in Berlin ja an eine Form von Verkehrskollaps, der einer mittelamerikanischen Metropole gut anstehen würde. Es ist nur noch absurd, aber gut, dadaistische Anarchie passt ja auch irgendwie zu Berlin.

Jetzt war es Samstag mittag. Ich war schon hinreichend genervt, weil ich vom Ku'damm bis zur Warschauer Str. eingepfercht gewesen war zwischen peinlichen Touristen aus Süddeutschland (Frauen Mitte 30 mit sportlichen Stufenhaarschnitten und Strähnchen und in komischen Outdoorjacken und jeweils das passende Exemplar Lebenspartner dazu, vermutlich alles FH-BWLer, die jetzt in mittelständischen Betrieben irgendwo in Stuttgart-Sindelfingen arbeiten) und der üblichen Kreuzberger Mischung aus lauten pubertierenden Jungs mit Migrationshintergrund und Handy-Ghettoblaster sowie Studentinnen in bunten Leggins und Ringeltops und spanischen Austauschstudenten mit langen Bärten, Kastenbrille und Bierflasche.

Dann, kurz vorm Frankfurter Tor, wurden wir mehr oder weniger aus der Tram geschmissen, bevor diese auf unbekannte Strecke nach rechts einbog. Eine riesige Masse gedreadlockter Jugendlicher und Möchtegernjunggebliebener pilgerte Richtung Frankfurter Tor. Polizei überall. 1.Mai-Stimmung. Sah nach Demo aus. An der nächsten Tramhaltestelle dann ein Pulk wartender Menschen, eine Leuchtanzeige, dass die nächste M10 in  1 min kommen würde. Hinter der Kreuzung tatsächlich Demo, wofür oder wogegen auch immmer. Viele Fahnen und so. Nazis? Vielleicht wegen dem neuen Thor Steinar-Laden? Egal, ich wollte nur durch, mit meinen grade gekauften Erdbeeren und der Sahne hin zu dem Kuchen, der irgendwo in Friedrichshain auf mich wartete.


Also ging ich zu dem BVG-Servicemenschen und fragte, aus welcher Richtung die Tram denn kommen würde. Er schaute wie gesagt spöttisch und meinte "Da kommt keene Tram." Ich: "Aber da steht es doch. Und auf dem Plakat dort auch." Er: "Dit is falsch." Ich: "Aber die Leuchtanzeige." Er: "Dit müsste heißen 'außer Betrieb'." Ich: "Aber da warten doch krass viele Leute jetzt." Er: "Da kann ick och nüscht machen." Service-Paradies Berlin, we love you. 

Ich fragte ihn noch, ob es meine einzige Alternative jetzt sei, mich quer durch die Demo zu kämpfen. Er nickte genervt. Ich: "Muss ich jetzt durch nen Pulk von Nazis durch?" Er: "Nee, dit sind die Linken heute." Ich: "Wenigstens etwas. Immerhin." Er sah nicht so aus, als ob er meiner Meinung sei. Ich bin dann los zur Kreuzung, und neben mir aufm Radweg hielt dann Hans-Christian Ströbele. Klar, wer sonst. Dann wars wenigstens ne halbwegs Mainstream-Demo, auch gut. Braungebrannt war er. Viel Urlaub oder viel Demonstrieren an der frischen Luft?
Eine Menschenkette aus Polizisten in voller Kampfmonitur das nächste Hindernis. Eine Polizistin, die ohne weiteres in einem Polizei-Porno mitspielen hätte können mit ihren weißblonden langen Haaren, den voll geschminkten Augen und dem Glitzersteinchen aufm Eckzahn, wollte meine Tasche kontrollieren. Erdbeeren und Sahne. Nicht wirklich bedrohlich, fand sie, also durfte ich durch. Dahinter das übliche Demochaos aus Antifa-Plakaten, Punkeltern mit ihren Kindern beim Samstagmittagsausflug mit Bier und Limo, Polizisten, die Autonome davon abhalten wollen, ihre Räder an den Baumstämmen neben den Schienen abzuschließen, aber drüber hinwegsehen, wenn Leute auf den Schienen sitzen und kiffen. Und ein einsamer Punk an der nächsten Haltestelle, der auf die Bahn wartet. Sie wird nicht kommen. Soll ich es ihm sagen? Andererseits ist Dadaismus auch absurd. Wir alle müssen unseren Teil dazu beitragen. Also fotografiere ich ihn und laufe weiter, mit Erdbeeren und Sahne dem Kuchen entgegen.




     




Die Bahn kommt nimmer......

Keine Kommentare: